Gérard Grisey

*  17. Juni 1946

†  11. November 1998

von Ingrid Pustijanac

Essay

Die Entwicklung der spektralen Kompositionstechnik wurde Mitte der 70er-Jahre von einer Gruppe junger Interpreten und Komponisten vorangetrieben, die sich unter dem Namen „L'Itinéraire“ in Paris vereinigte. Damals von vielen als wichtiger Anstoß für die Erneuerung des zeitgenössischen Komponierens erachtet, erfuhr die Spektralmusik seit ihrem Entstehen vielfältige Transformationen. Dies war bereits in den Poetiken der Gründerväter der Fall, stärker noch in deren Rezeption und Weiterentwicklung durch nachfolgende Generationen, sodass von einer spektralen „Schule“ heute nicht mehr die Rede sein kann. Als die Grenzen einer faszinierenden, aber historisch und regional beschränkten Poetik überschreitend wirkte sich eine spezifische Einstellung gegenüber dem Phänomen des Klanges aus, dessen Erforschung durch die ständige Weiterentwicklung der technischen Möglichkeiten der Klanganalyse und -synthese stimuliert wurde.

Vor diesem Hintergrund hat Griseys Œuvre eine besondere Kraft: Es ist hervorgegangen aus einer Synthese von Aspekten der Behandlung der Klangfarbe bei Olivier Messiaen oder Giacinto Scelsi einerseits und seriellen Verfahrensweisen Stockhausens andererseits, wobei dieser Vorgang durchdrungen ist von Erkenntnissen aus dem naturwissenschaftlichen Bereich (u.a. des Physikers Émile Leipp, des Informationstheoretikers Abraham Moles und später auch des Komponisten Jean-Claude Risset). Der Reichtum und die klangfarbliche Differenzierung der Kompositionen Griseys werden legitimiert durch ...